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Offenes Ohr

27. Mai 2021

Offenes Ohr oder auf Durchzug schalten?

Zeit für Gespräche im Management

„Deinem Verhalten nach bist du ein Erzkapitalist, und das ganze kapitalistische System ist sowieso für die Tonne!“

Manch einer von uns wird schon einmal so oder so ähnlich mit einem seiner Kinder aneinandergerasselt sein, macht doch die Pubertät aus den geliebten Kids für einige Jahre emotionale Vulkane. Ich gehe mal davon aus, dass wir alle vollkommen entgegengesetzter Meinung sind. Aber schweigend übergehen wollen wir das Thema natürlich nicht, weil uns wichtig ist, was unsere Kinder nicht nur über uns, sondern über die Welt denken.

Was aber, wenn wir gerade im Homeoffice über einer strategischen Idee brüten, die wir am kommenden Tag sauber ausgearbeitet präsentieren wollen?

Sie stecken bis zum Hals in Recherche und Reflexion, als nach kurzem Klopfen und Ihrem „Herein“ die Tür aufschwingt und Ihr Filius oder seine Schwester die Weltrevolution ausrufen möchte. Die Liebe zu Ihrem Kind verlangt, sofort dazwischenzugrätschen und den jungen Kopf umgehend ein wenig geradezurücken. Doch unglücklicherweise sitzt Ihnen das Meeting am nächsten Tag im Nacken, und wenn Ihnen in der Krise nichts Durchschlagendes einfällt, sehen Sie unruhigen Zeiten entgegen.

Haben Sie mal eine Minute? Prioritäten richtig setzen

Nicht immer ist es die Familie, die dringenden Redebedarf hat. Auch im Job geschieht es immer wieder, dass uns jemand auf dem Gang ausbremst und sagt:

„Haben Sie mal eine Minute? Ich meine, unsere Supportlösung funktioniert so nicht!“

Natürlich können wir jetzt mit einem oberflächlichen Spruch antworten und weiterhetzen – und die Angelegenheit erst mal vergessen. Wenn nichts mehr nachkommt, wird es schon nicht so wichtig gewesen sein. Was aber, wenn der bzw. die so Abgewimmelte recht hat und jetzt frustriert denkt, dass man „in diesem Saftladen sowieso nichts bewegen kann“?

Die wenigen Sekunden, die man sich nicht genommen hat für eine adäquate Antwort, könnten sich Monate später als durchaus teuer erweisen.

„Mich interessiert sehr, wie du darauf kommst, dass ich ein kapitalistischer Blutsauger bin, und möchte mich wirklich gerne in Ruhe darüber mit dir unterhalten. Aber bitte versteh eines: Ich muss vorher unbedingt dieses Konzept fertigstellen. Ist es für dich okay, wenn wir am Wochenende darüber sprechen?“

Diese oder eine ähnliche Antwort ist wichtig für den Revoluzzer im Jugendzimmer und sollte von der Überlegung getragen sein, was im gegenwärtigen Moment mehr nützt als schadet. Erzkapitalist oder nicht: Das Konzept bezahlt die Rechnungen der Familie, und ich weiß aus Erfahrung, dass ich nur noch zwei Stunden habe, bis ich zu müde bin, um es heute noch fertigzubekommen.

Mich unter diesen Umständen auf eine Diskussion einzulassen, die mich mindestens eine halbe Stunde – eher mehr – kosten wird, hieße, sowohl der Verpflichtung meinem Kind gegenüber als auch der Verpflichtung meinem Unternehmen gegenüber nicht angemessen nachzukommen: Die Unterhaltung bliebe oberflächlich, und das Konzept würde morgen alles andere als gründlich ausgearbeitet auf dem Tisch liegen.

Zeit ist kostbar, Gespräche ebenso

Es ist schwierig, innerhalb weniger Sekunden zu wissen, welcher Diskussionsgegenstand eine sofortige Reaktion verlangt und welcher möglicherweise nicht. Zeit ist kostbar, aber Gespräche sind es auch, und diese beiden Kostbarkeiten müssen wir in Einklang bringen. Nur ein offenes Miteinander, bei dem in notwendigen Diskursen zur rechten Zeit Ideen ausgetauscht, diskutiert und weiterentwickelt werden, trägt als innovative Kraft entscheidend zu mehr Wettbewerbsstärke bei.

Wenn wir uns wegen knapp bemessener Zeit mit falschen Prioritäten echten Gesprächen verweigern, wimmeln und wiegeln wir Anliegen ab, die möglicherweise von großem Wert sein können. Wir ignorieren gute Argumente, um unsere vorgefasste Meinung durchzudrücken, und zerstören die wertvolle Reibungsenergie, die im Widerstreit verschiedener Meinungen entsteht.

Um die Zeit für Gespräche mit Erkenntnisanspruch zu erhöhen, muss ich oft noch nicht einmal viel Zeit von anderen Projektaufgaben abzweigen. Meist genügt es schon, unnütze und damit überflüssige Unterhaltungen zu vermeiden. Wenn kein Erkenntnisgewinn zu erwarten ist: Weg damit! Reden Sie lieber mit dem Trainee, der eine spannende Idee für eine effizientere Serviceorganisation hat.

Zeit sparen und klug investieren

Ein zweiter, mir sehr wichtiger Punkt ist die Vorbereitung. Berufe ich ein Meeting ein, gebe ich vor, wer sich auf welchen Punkt vorbereiten soll und worauf es dabei ankommt. Von jedem einzelnen Beteiligten hole ich mir die Bestätigung ein, dass er diese Aufgabe bis zum Termin tatsächlich erledigen kann. Tun alle wie geheißen, werden die Meetings effizienter und kürzer, was zusätzlichen Raum für fruchtbare Diskussionen schafft.

Manchmal fragt man mich: „Kommt bei Ihrem Effizienzdiktat nicht das Menschliche zu kurz?“ Ich antworte dann meist: „Das Menschliche spielt für mich in Workshops und Meetings nur bedingt eine Rolle. Hier will ich, dass jeder die notwendigen Informationen bekommt, um die Entscheidungen treffen zu können, die wir treffen müssen. Dafür diskutieren wir ein paar Punkte durch, fassen die erforderlichen Beschlüsse, und weiter geht es. Für nichts anderes sind Meetings da. Das Protokoll wird im Anschluss an diejenigen verteilt, die über das Ergebnis des Meetings informiert werden müssen.“


Offenes Ohr

Bildquelle: AdobeStock William W. Potter

Kennen auch Sie den einen oder anderen, der sich gerne in langen Sätzen ergeht, ohne viel zu sagen?

Reagieren Sie mit einem Augenzwinkern: „Hans, in dem, was du sagst, steckt bestimmt ein wichtiger Punkt – welcher ist das?“

Sie werden sehen: Alle Anwesenden lachen und kommen in ihren Diskussionsbeiträgen rasch zum Wesentlichen. Grundsätzlich sollten an Meetings nur diejenigen teilnehmen, die für das Fällen anberaumter Entscheidungen wirklich relevant sind. So gelingt es, die eingesparte Zeit in Gespräche zu investieren, die wirklichen Impact versprechen und für die wir meist zu wenig Zeit zu haben glauben.

Erst Effizienz schafft Raum fürs Menschliche

Was dann noch an Zeitreserven bleibt, investieren wir ins Menschliche, das im Management keinesfalls außen vor bleiben darf.

Fehlt die Effizienz, entsteht Chaos, Chaos wiederum gebiert Hektik, und Hektik verhindert den menschlichen Umgang miteinander.

Im Management hat jegliches seine Zeit, und es gehört zu den Talenten, aber auch Pflichten eines Managers, diese bestmöglich zu nutzen.

Ihr
Matthias Kolbusa


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