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Warum Naivität

31. August 2023

WARUM NAIVITÄT SIE BESSER MANAGEN LÄSST

Neulich erzielte ich einen großen Lacherfolg, ohne dass ich es darauf abgesehen hatte. Ich war einfach nur naiv und muss gestehen: Das war weder das erste Mal, dass mir das widerfahren ist, noch wird es das letzte Mal gewesen sein. Ja, ich werde auch in Zukunft ganz bewusst und sogar vorsätzlich wieder naiv sein.
Was war geschehen? In einer Sitzung des Aufsichtsrats und des Vorstandes eines Industriekonzerns ging es um ein konzernübergreifendes Synergieprojekt. Ich hatte die Zielsetzung und die Prämissen präsentiert. Von einem der Vorstände gefragt „Und wie genau werden Sie das jetzt machen?“, antwortete ich: „Keine Ahnung.“ Die versammelte Runde hielt das für einen Witz. Nur war es keiner! Ich hatte schlicht und ergreifend keine andere Antwort auf die Frage.

Wie naiv von mir! Und wie dumm! Oder?

NAIVITÄT KENNT KEINE VORBEHALTE

Die Geschichte der Naivität ist eine Tragödie, ein schlimmes Missverständnis. Naivität hat nichts mit Dummheit zu tun. Naivität ist die Schwester des Vertrauens und der Arglosigkeit. Sie ist Vorbehaltlosigkeit. Wenn wir jemanden als naiv bezeichnen, werfen wir ihm oder ihr vor, ohne Vorbehalte zu sein. Warum das? Wer naiv ist, ist in Wahrheit doch mutig und frei.

Sie möchten sicher gerne wissen, wie ich bei der oben beschriebenen Sitzung meinen Kopf aus der Schlinge gezogen habe. Nun, ich versprach ganz einfach, alle zwei Wochen über den Stand des Projektes zu berichten. Vorab darzustellen, was genau in den kommenden sechs Monaten geschehen würde, wäre dumm gewesen und nicht zuletzt auch gelogen. Denn es kommt a) anders und b) als man denkt. Wichtig ist, was am Ende herauskommt.

PLANEN MACHT ALLES EINFACHER? EIN TRUGSCHLUSS

Im Alltagsgeschäft interessieren uns vor allem Maßnahmen, Meilensteine, Aktivitäten etc. Faktisch tragen diese zum Erfolg jedoch nichts bei. Sie sind lediglich Mittel zum Zweck. Es verblüfft mich immer wieder, wie lang und breit wir über Pläne, Risikolisten, kritische Pfade und so weiter diskutieren und wie wenig über das, worum es eigentlich geht: das angestrebte Ergebnis. Statt sich relevante Kriterien zu überlegen, anhand derer wir feststellen können, ob wir unserem Ziel näher kommen, diskutieren wir, warum wir hinter welche Aktivität ein Häkchen machen können. Wir reden uns die Köpfe heiß, welche Ampel Rot statt Gelb zeigen sollte, wer daran schuld ist und wie man es schafft, dass diese Ampel endlich auf Grün springt.

Doch mit Plänen bewältigen wir die komplexe Realität nicht, weil ihr trügerischer Charme von der Bedingung „ceteris paribus“ abhängt. Also spielen wir für jede einzelne Variable alles durch, bis wir den Best Case, den Worst Case und alles dazwischen zu kennen glauben.
Nur wird keiner dieser Fälle eintreten, denn in der Realität existiert kein „ceteris paribus“: Die Planvariablen ändern sich, alles verändert sich ständig.

IGNORIEREN SIE KOMPLEXITÄT

In Wirklichkeit potenzieren unsere Pläne die Komplexität, weil wir gelernt haben, dass man sich an Pläne halten muss. Mal ehrlich: Wie oft haben Sie schon mitten in einem Projekt erkannt, dass es einen einfacheren, kürzeren Weg zum Erfolg gibt? Doch leider war der nicht besprochen und vereinbart worden. Wie schade!

Ignorieren Sie Komplexität! Seien Sie naiv! Gönnen Sie sich das Privileg einer rein ergebnisorientierten Haltung mit einem hohen Maß an Offenheit für den Weg zum Ziel. Entscheidend ist zu wissen, was man will und welche klaren Fortschrittskriterien den Weg zum Ziel definieren. Lassen sie sich nicht von Plänen, Aktionslisten oder der x-ten Risikoanalyse vom Ziel ablenken. Prüfen Sie Ihre Ideen nicht zu Tode. Geben Sie ihnen eine Chance!

Verzichten Sie auf halbstündige PowerPoint-Sessions. Haben Sie den Mut, Ihre Idee in fünf Minuten zu skizzieren – und zwar freihändig: ohne Charts und einen Haufen Folien in der Hinterhand zu haben.


Warum Naivität

Bildquelle: AdobeStock christophe BOISSON

Sie und Ihr Team werden lernen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sie werden in Bildern reden und Beispiele bringen, die sich in den Köpfen Ihrer Mitarbeiter einnisten und dort ihre Wirkung entfalten. Sie werden beweisen, dass Sie für das, was Sie vortragen, brennen. In der englischen Sprache heißt „auswendig“ nicht umsonst „by heart“.

Doch Vorsicht! Dass es auch eine negative Seite der Naivität gibt, merken Manager spätestens dann, wenn sie blauäugig an komplexe Vorgänge herangehen.

SEIEN SIE SPONTAN. SEIEN SIE NAIV!

Fordern Sie auch von Ihrem Führungszirkel im spontanen Austausch unkonventionelle Gedanken, die nicht anhand unzähliger Marktstudien oder Wettbewerbsanalysen vorher überprüft wurden. Und befragen Sie nicht nur die Silberrücken, also die erfahrenen Abteilungsleiter und die erfolgreichen Vertriebler. Sprechen Sie auch mit Ihren Neuzugängen und den Quereinsteigern. Das für die Problemlösung erforderliche Wissen existiert bereits in Ihrem Unternehmen, wenn es auch noch verschüttet ist. Ihre Aufgabe besteht darin, dieses Wissen freizulegen – mit vorbehaltlosen, naiven Fragen.

Naiv wird – wenn nicht sogar mit „dumm“ – gerne mit „kindlich“ übersetzt. Wenn Sie Kinder haben, werden Sie bereits am eigenen Leib erfahren haben, wie gut, weil grundsätzlich deren Fragen sind. Warum ist der Himmel blau? Warum ist Wasser nass? Warum ist die Banane krumm? Dass wir uns winden und damit schwertun, die Fragen unseres Nachwuchses zu beantworten, zeigt nicht, wie dumm, sondern wie richtig und wichtig diese sind.

Ihr
Matthias Kolbusa

 


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