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Mut zur Musse

3. Januar 2024

MUT ZUR MUSSE

WARUM KREATIVE FREIHEIT DISZIPLIN BENÖTIGT

Als einer meiner Klienten nicht mehr weiterwusste, machte ich ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag: „Lassen Sie uns doch mal ein Kloster besuchen.“ Bei dem Spaziergang in einem Klostergarten vertiefte er sich in ein Gespräch mit einem Geistlichen. Danach erzählte er mir, dass ihm dabei zu seinem Erstaunen ein Gedanke gekommen sei, der mit dem Gespräch nichts zu tun hatte, nämlich die lang ersehnte Idee, wie sein Unternehmensbereich neu auszurichten sei.

Ein bekanntes Phänomen: Grandiose Einfälle kommen uns häufig in den Momenten, in denen wir loslassen – unter der Dusche, bei einem Glas Wein oder anderem. Unerwartet lichtet sich der Schleier, und die Lösung liegt auf der Hand. Leider bleibt meist zu wenig Raum für freies, ungezwungenes Denken, für Muße und Inspiration. Lieber ballern wir unseren Terminkalender mit Terminen zu. Aber macht uns das Abhaken unserer Aufgabenliste wirklich erfolgreich?

Starke Unternehmen innovieren nicht nur ihre Produkte, sondern ebenso ihre Prozesse und Strukturen. Damit es dabei Klick für kreative Lösungen macht, muss sich vorhandenes Wissen mit neuen Wahrnehmungen und Erfahrungen verbinden. Um das zu erreichen, müssen wir der Routine den Rücken kehren, denn so können wir unserem Potenzial ohne Druck Raum geben.

Im Alltag sind wir davon meist weit entfernt. Will ein Ressortleiter seinen Bereich neu gestalten, werden im eigens einberufenen Workshop bestenfalls die üblichen Floskeln breitgetreten, um ein paar Prozesse minimal zu verändern. Auf die Idee, wie sich die Zusammenarbeit grundsätzlich verbessern lässt, kann oder will im gewohnten und ideenbefreiten Optimierungseinerlei niemand kommen. Was aber wäre geschehen, wenn sich jeder der Beteiligten die Zeit genommen hätte, seine Gedanken ganz entspannt in der Sonne um das Thema kreisen zu lassen?

Warum Muße so wertvoll ist:

  • Die Erleuchtung zur Gravitationstheorie kam Isaac Newton, als er im heimischen Obstgarten versonnen einen Apfel betrachtete (dass ihm dieser auf den Kopf fiel, ist allerdings eine Legende).
  • Dem Chemiker Friedrich Kekulé offenbarte sich die lang gesuchte Struktur des Benzolrings im Traum.
  • John Lennon-Songs wie „Nowhere Man“ entstanden nebenbei: „Ich hatte morgens fünf Stunden lang versucht, einen Song zu schreiben, der gut war. Schließlich gab ich auf und legte mich hin. Dann kam ‚Nowhere Man‘ – Text, Musik, das ganze verdammte Ding.“
  • Auf den Klettverschluss kam der Schweizer Ingenieur Georges de Mestral bei einem Spaziergang mit seinem Hund. Im Fell des Tieres blieb eine Klette hängen, was ihn darauf brachte, dieses Naturphänomen nachzubilden.

Mut zur Musse

Bildquelle: StockAdobe matiasdelcarmine

Leider erleben Teams und ganze Unternehmensbereiche oft erst dann einen kräftigen Schub, wenn eine Bedrohung im Raum steht. Wenn der Bereich ausgelagert zu werden droht, brechen plötzlich die eingefahrenen Muster auf, und alle sprudeln vor Ideen nur so über. Dass Kreativität nur unter Druck und Angst entsteht, ist auf Dauer jedoch keine Lösung.

Damit es so weit nicht kommt, sollten wir die Freiheit des ungezwungenen Denkens fest in unserem Alltag verankern. Solide Strukturen und kreative Freiräume sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen. Die meisten erfolgreichen Künstler leben nicht in den Tag hinein, um ihre Inspiration dem Zufall zu überlassen, sondern steuern und planen ihr „freies“ Denken ganz bewusst, um sich Raum und Zeit dafür zu geben.

2013 machte 3M erstmals Schlagzeilen damit, dass die Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung 15 Prozent (Google erlaubt sogar 20 Prozent) ihrer Arbeitszeit ohne Chefabsprache auf selbst gewählte Vorhaben verwenden dürfen. Heute verfügt 3M über ein Portfolio von mehr als 55.000 Produkten, bringt jährlich mehr als 1.000 neue Produkte auf den Markt und hält über 25.000 Patente.

Kreativität und freies Denken brauchen einen festen Rahmen und sollten Teil eines verlässlichen Alltagsrituals sein. Für mich kann diese Disziplin zur Freiheit auch mal bedeuten, zwei Stunden gar nichts zu tun. Etwa an einem Donnerstag um zwölf Uhr, wenn die Energiekurve sowieso nach unten zeigt.

Das Wunderbare daran: Unser Gehirn arbeitet dennoch und kommt auf Ideen, auf die wir unter anderen Umständen nie gekommen wären. Als Manager sollten wir uns regelmäßig zur Muße anhalten – und sie vor allem unseren Mitarbeitern nicht vorenthalten.

Ihr
Matthias Kolbusa

 


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