14. Mai 2024
Wie oft am Tag hören Sie im Büro oder sagen Sie selbst: „Ich habe keine Zeit“? Die Aussage klingt, als sei Zeit eine Ressource, von der man immer zu wenig hat. So als sei die Uhr daran schuld, dass wir unsere wichtigen Aufgaben nicht schaffen. Wenn wir jedoch ehrlich zu uns sind, wissen wir genau, dass nicht die Zeit das Problem ist, sondern unsere Prioritäten.
Auch privat verwenden wir diesen Satz geradezu inflationär – wenn etwa unsere Kinder oder Partner etwas wollen. Hand aufs Herz: Wie oft sagen wir „Keine Zeit!“, obwohl wir tatsächlich keine Lust, kein Interesse oder gerade keine Nerven dafür haben? Unbewusst? Keineswegs! Uns ist nämlich durchaus klar, dass wir die Unwahrheit sagen.
Sicher kennen Sie auch diesen Satz: „Ich weiß, Ihre Zeit ist begrenzt, aber könnten Sie sich das einmal ansehen?“ In diesem Fall sollte Ihr erster Impuls immer sein, zu checken, ob nicht jemand sein Prioritätenproblem bei Ihnen abladen möchte. Wenn dem nicht so ist, antworten Sie: „Ich unterstütze Sie gern. Bitte sagen Sie mir dafür genau, wo Sie mich brauchen und was Sie exakt von mir benötigen.“ So schonen Sie Ihr eigenes Prioritätenportfolio und müssen kein komplettes Konzept lesen, um ein isoliertes Problem lösen zu können.
Weil die verfügbare Zeit keine Ressource ist, sondern ein Ausdruck des Umgangs mit unseren Prioritäten, ist das angebliche
Keine-Zeit-Haben stets der Effekt einer viel tieferen Ursache: einer Unmündigkeit, einer Unreife oder einer Verzweiflung, die etwas anderes bedeutet:
Bildquelle: StockAdobe Romana
Wenn ich also meine Familie enttäusche mit den Worten „Sorry, ihr Lieben, dafür fehlt mir am Wochenende die Zeit“, sage ich in Wirklichkeit: „Ich muss das Managementkonzept fertigstellen, weil ich sonst am Montag in der Sitzung blöd dastehe. Leider muss der Freibadbesuch ausfallen.“ Dabei ist mir sonnenklar, dass ich mich auf keinen Fall als Spielverderber outen will. Es soll ja keiner denken, dass Papa Büroarbeit wichtiger ist als der Familienspaß.
Ich bestreite keinesfalls, dass der Job auch mal vorgehen muss, doch sollten wir zugeben, dass wir alle Zeit der Welt haben und selbst entscheiden, wie wir diese Zeit aus welchen Motiven und Emotionen heraus wie auch immer verwenden. Warum also ist „Mir fehlt die Zeit“ so oft ein Zeichen von Unreife?
Und zwar an Personen oder an ein System. Was immer es ist, wir machen uns zum Spielball unserer Emotionen, sind nicht mehr Herr der Lage und stehen nicht zu unseren Entscheidungen.
Während wir jedem gegenüber unseren Zeitmangel beklagen, merken wir gar nicht mehr, dass wir nur noch fremdgesteuert von einer Krisensitzung zur nächsten hetzen und wegen all dem Dringenden das Wichtige nicht mehr auf die Reihe kriegen. Unsere Effektivität, unsere Produktivität und unsere Leistung gehen den Bach hinunter.
Zwischen der faulen Ausrede „Keine Zeit“ und einem fiesen „Das interessiert mich nicht die Bohne“ existiert nicht nur ein Unterschied in der Formulierung, sondern auch ein Unterschied im Verhalten. Hier schließt sich der Kreis zum zuvor schon Gesagten: Wenn meine Kollegin Margret weit ausholt, um bezüglich eines Problems meine Unterstützung im Meeting zu haben, könnte ich ja auch antworten: „Bring die Sache bitte genau auf den Punkt. Den ganzen Kontext brauche ich nicht, um dir so zu helfen, dass du es allein schaffst.“
Achten Sie also auf sich, wenn Ihnen die „Keine Zeit“-Floskel über die Lippen kommt. Es könnte ein Indikator dafür sein, dass Sie nicht so produktiv sind, wie Sie sein könnten. Mal ganz abgesehen davon, dass Sie dann auch nicht wirklich ausgeglichen sind.
Ihr
Matthias Kolbusa
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