5. Juni 2024
Kennen Sie das auch? Ein Mitarbeiter kommt zu Ihnen und gibt mit den Worten
„Haben Sie mal fünf Minuten?“
sein Bedürfnis nach einem Gespräch kund. Als verständnisvoller Chef, der stets offene Türen hat, sagen Sie:
„Ja, selbstverständlich, kommen Sie rein.“
In der Folge werden Ihnen Zusammenhänge dargestellt. Die Geschehnisse um ein bestimmtes Projekt der letzten Wochen werden beschrieben, es wird erläutert, welche Faktoren hierbei eine besondere Rolle spielen und wie sich die Kollegen zu diesem Thema verhalten, bis der Mitarbeiter schließlich zum Punkt kommt und sagt: „Und jetzt die Frage, wie wir damit umgehen sollen.“ Sie entwickeln nun in einem Dialog mit ihm diverse Ansätze, bringen Ihre Erfahrung ein und schälen aus den unterschiedlichsten Sichten die beste Option für das weitere Vorgehen heraus. Der Mitarbeiter verlässt zufrieden Ihr Büro, Sie fühlen sich gut, und alles geht seinen Gang.
Missbraucht, weil jemand anderes zu faul war, zuvor präzise über ein Problem nachzudenken, bestimmte Alternativen zu entwickeln, und zudem noch zu bequem war, eine Entscheidung zu fällen bezüglich des weiteren Vorgehens. Dies geschah aus der Angst heraus, eventuell für etwas geradestehen zu müssen, was durchaus im eigenen Verantwortungsbereich lag. Es ist ein Phänomen, das ich in vielen Organisationen immer wieder erlebe: das „Ich habe da ein Problem“-Phänomen. Und ob nun aus reiner Gutmütigkeit oder weil wir uns als Experte in den Fachdomänen gut auskennen und uns wohlfühlen, wenn wir mit Fachfragen konfrontiert werden, bringen wir uns mit Herzenslust in dieses Phänomen ein. Dass wir dadurch unsere Mitarbeiter nicht gerade mündig und eigenständig machen, ist uns in diesem Moment natürlich nicht bewusst. Es ist auch bequem und fühlt sich gut an. Schließlich zeichnet dies unser Team ja aus, dass wir stets füreinander da sind! Doch das ist falsch verstandener Team- und Führungsgeist.
In der Regel sind Menschen zu faul, um wirklich tiefschürfend darüber nachzudenken, was überhaupt das Problem ist. Stattdessen benutzen sie gerne andere, um entweder während des Gesprächs herauszustellen, worin genau die Schwierigkeit besteht, oder sie lassen dies gar die anderen allein herausfinden. Daher ist es eines meiner Grundprinzipien, wenn mir jemand begegnet und sagt, er oder sie habe ein Problem, dass ich selbstverständlich als Sparringspartner zur Verfügung stehe!
Bildquelle: StockAdobe Sergey Nivens
Wird das Gespräch jedoch mit weitschweifigen Erläuterungen eingeleitet statt mit einem exakt umrissenen Problem, werde ich skeptisch. Sobald jemand anfängt, die Zusammenhänge um das Problem herum zu beschreiben, frage ich nach: „Worin genau besteht das Problem?“ Nicht selten bekomme ich darauf zu hören: „Dafür muss ich Ihnen erst einmal den Zusammenhang darstellen.“ Auf eine solche Äußerung gibt es nur eine Antwort: „Nein! Das müssen Sie nicht.“ Ist das rüde? Nein. Wenn jemand nicht in der Lage ist, im Rahmen eines Satzes ein Problem zu formulieren, dann hat er sich im Vorfeld nicht ausreichend damit beschäftigt.
Was genau ist denn ein Problem? Ein Problem besteht aus einem Subjekt, das den Problemgegenstand darstellt, einem Sollwert, den dieser Gegenstand haben sollte, und einer Abweichung davon. Nicht mehr und nicht weniger.
Daher sind Sätze wie „Im Vertrieb geht es im Moment nicht vorwärts“, „Wir laufen Gefahr, mit dem Projekt in Verzug zu geraten“ oder „Wir haben ein Problem mit dem Key Account XY“ unpräzises Geschwafel. Meist steckt in einer komplexen Thematik nicht nur ein Problem, sondern gleich mehrere. Dann ist es die erste Aufgabe, diese einmal sauber voneinander zu trennen. In dem Beispiel, bei dem es im Vertrieb momentan nicht vorwärtsgeht, könnten Problemstatements stecken wie: „Die Anzahl der Kundenanfragen für Folgeprojekte ist seit zwei Monaten im Jahresvergleich um 20 Prozent rückläufig“ sowie „Die Hit-Rate in der Region ABC ist im Vergleich zu den anderen Regionen um 30 Prozent geringer“.
Solange mir also jemand nicht wirklich klare Problemstatements liefert – und Sie sehen, dass diese sich sauber durchdacht immer in entsprechende Sätze bringen lassen –, fange ich kein Gespräch an. Doch damit nicht genug. Jedes Problem hat seine Ursachen – Ursachen, die Veränderungen darstellen, bevor es zu der entsprechenden Abweichung vom Sollwert kam. Wer mir diesbezüglich nicht mindestens drei oder vier Überlegungen liefert, was sich konkret verändert hat und somit auch der Stellhebel sein könnte, um das Problem wieder in den Griff zu bekommen, wird von mir mit dieser Aufgabe nach Hause geschickt.
Wenn der Vertriebsmanager zurückkommt und mir darlegt, dass er bezüglich dieser zwei Problemstatements mögliche Gründe ausgemacht hat und nun unsicher ist, was tatsächlich die Kernursache und welche seiner Maßnahmen die effektivste ist, dann steige ich gerne mit ein und bin mit Vergnügen sein Sparringspartner!
Vorher gilt jedoch: Selbst denken und präzise formulieren. Ich kann jedem Manager nur raten, seine Mitarbeiter dahin gehend zu erziehen, denn die Produktivität steigt dadurch enorm. Ist das angenehm, wird man dafür geliebt? Nein, aber geschätzt, auch wenn die Wertschätzung erst später erfolgt, weil die Mitarbeiter dann stolz darauf sind, selbst Probleme geschickt gelöst zu haben.
Die zweite Komponente bei dem „Ich habe ein Problem“-Phänomen ist die Feigheit davor, die Verantwortung für eine bestimmte Aktion zu übernehmen. Zu gerne wälzen Mitarbeiter die Verantwortung, hier verstanden als die Entscheidung für die weitere Vorgehensweise, auf ihren Chef ab. Im Falle des Vertriebsbeispiels übernehme ich also nicht die Verantwortung für das, was jetzt als Nächstes getan wird! Ich bin lediglich der Sparringspartner, und die Entscheidung, wie weiter vorzugehen ist, liegt weiterhin bei meinem Gesprächspartner. Wäre dies nicht der Fall, wäre einer von uns beiden überflüssig!
Daher helfen Sie Ihren Mitarbeitern, auf gute Ansätze zu kommen, seien Sie ihnen ein verlässlicher Sparringspartner und lassen Sie sie entscheiden. Selbst wenn Sie das Gefühl haben, dass ein Fehler begangen wird: Aus was sonst soll man lernen?
Ihr
Matthias Kolbusa
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