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Schach

30. Juli 2020

Bild: Vlad_Chorniy, Shutterstock

Führen heißt, Menschen zur Freiheit erziehen

Da ist der Inhaber eines größeren mittelständischen Unternehmens, der sich bei seinen vier Geschäftsführern beklagt, dass diese so wenig innovativ seien, ihre Bereiche nicht vorwärtsbrächten. So könne sich das Unternehmen nicht weiterentwickeln. Gleichzeitig beschwert er sich in E-Mail-Serien, wie ein Geschäftsführer ein bestimmtes Projekt steuert, wie ein anderer sich auf einer Messe geäußert hat, wie der nächste die Aufgaben in seinem Bereich strukturiert und verteilt. Gerne „bearbeitet“ er auch Mitarbeiter zwei Hierarchieebenen tiefer, um „Dort Flagge zu zeigen“ und zu erklären, wie die Konstruktion einer Werkzeugmaschine noch besser gelingt.

Wie geübt sind Sie darin, anderen Freiheiten zuzugestehen? Die Freiheit, die Dinge so zu tun, wie diese sie für richtig halten. Die Freiheit, selbstständig zu entscheiden, was im Sinne der Zielsetzung zu tun ist.

Um eine Organisation weiterzuentwickeln, müssen wir unseren Mitmenschen nicht Freiheiten einfach nur einräumen. Wir müssen sie geradezu aus ihrer sicheren Komfortzone hinausstoßen, hinaus in die Freiheit. Ja, unsere auf sich selbst gestellten Kollegen und Mitarbeiter sollen erleben, wie das Projekt gegen die Wand fährt. Genauso wie unsere Kinder sich blutige Nasen und blaue Flecken holen, wenn sie zum ersten Mal zum Spielen alleine nach draußen dürfen. Wir können sie nicht davor beschützen. Und wir sollten das auch nicht! Ein Boxer muss einmal gefühlt haben, wie ein Aufwärtshaken wehtut – da hilft alles Schattenboxen nichts.

Kinder wie Kollegen gewinnen an Erfahrung und Mündigkeit hinzu, wenn sie sich selbstständig durchs Leben oder den Job schlagen müssen. Um erfolgreich zu sein, müssen wir alle lernen, mit wem wir uns im Zweifel anlegen, wann wir auf den Spielplatz gehen und zu welchem Kunden wir wie vorbereitet fahren. Die Auseinandersetzung mit den Notwendigkeiten, denen wir uns stellen, bringt uns nur dann weiter, wenn wir als Schrammen und Blessuren schlau werden! Ohne diese werden wir keine mündigen Menschen und auch keine mündigen Manager!

Und seien wir ehrlich: Wen wollen wir wirklich vor unangenehmen Erfahrungen bewahren? Unsere Mitmenschen oder uns selbst? Natürlich belastet es uns, wenn unser Kind zum ersten Mal allein in der Stadt nach der richtigen U-Bahn sucht. Oder die Mitarbeiter in einem Kundentermin ohne ihren Chef versagen.

Gestehen wir uns ruhig ein, dass nicht unser Beschützerinstinkt, sondern unsere Feigheit verhindert, dass wir die Verantwortung für die Freiheit anderer wahrnehmen. Die Verantwortung für eine Fünf in Mathe unseres Sohnes, den wir nicht jeden Tag an die Hausaufgaben erinnert haben, um ihm stattdessen die Erfahrung einer miesen Zensur ermöglicht zu haben. Nicht anders der Manager, der seine jungen Leute allein zu einem Kundentermin schickt, um deren Scheitern bewusst in Kauf zu nehmen. Dies und anderes ist der Preis dafür, wenn wir nicht nur vollmundig ankündigen, dass unsere Mitarbeiter zu Unternehmern im Unternehmen werden, sondern wenn wir sie tatsächlich dazu erziehen.

Dass Erziehung aber nicht Bevormundung bedeutet, sondern das Einräumen von Freiheit, das begreifen die wenigsten. Diese Freiheit darf nicht als Gut verstanden werden, das man nutzen kann, wann und wie es einem beliebt. Nein, wir müssen andere zur Freiheit zwingen und zugleich aushalten, dass in ihrem Rahmen Dinge auch mal schiefgehen können. Hören wir auf damit, unsere Kinder, Kollegen und Führungskräfte mit allerlei Mikromanagement und Detailkontrolle zu überziehen, statt sie zu mündigen Menschen zu erziehen – um uns dann auch noch über die Folgen dieser Unmündigkeit zu beklagen.

Ich wünsche Ihnen alles Gute.

Ihr Matthias Kolbusa


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