29. Oktober 2024
Kein Reorganisationsprojekt, bei dem nicht auch das Thema Hierarchielosigkeit mit auf dem Zettel steht. Vielleicht ein paar Führungsschichten eliminieren? Darf es etwas mehr Projektorganisation sein oder mehr Netzwerk? Mehr Schwarm? Oder hip und fluid ganz ohne Strukturen?
Aus Managementsicht ist die Sehnsucht klar und maximal sinnvoll: Möglichst wenig Organisation! Jede zusätzliche Schnittstelle erzeugt Abstimmungsaufwand, trägt Friktionspotenzial bis hin zum unsinnigen Siloverhalten in sich oder sorgt für Reibungsverluste bei der Wertschöpfung.
Ist damit dem Schrei der HR-Vorreiter, endlich alle Organisationsformen abzuschaffen, nichts mehr entgegenzusetzen? Nein, würden wir davon ausgehen, dass sich alle Menschen und damit alle Mitglieder einer Organisation (Führungskräfte, die es im klassischen Sinne dann gar nicht mehr geben würde, wie auch alle Mitarbeiter) mündig und damit reif verhielten. Reif zu sein heißt für mich, die Konsequenz und den Mut zu besitzen, stets das Richtige zu tun. Und das Richtige ist, mit allem, was man sagt oder tut, mehr Menschen zu nützen als zu schaden.
Wären wir alle in diesem Sinne reif und mutig, bräuchte es keine Vorgesetzten, keine Regeln und Vorschriften – höchstens ein paar gut durchdachte Prozesse, damit bestimmte Dinge einfach wie geschmiert laufen.
Der erste sind unsere niederen Motive und Bedürfnisse:
Statt jedoch für die Organisation das Richtige zu tun, handeln wir alles andere als reif: aus Gier, Machtbedürfnis, Neid, Verzweiflung, Niedertracht oder Minderwertigkeitsgefühlen – um nur ein paar Komponenten unserer dunklen Seite zu nennen. Wir klammern uns an unser Budget, statt es für Vordringliches freizugeben. Wir lassen den Vertrieb im Regen stehen, nachdem wir im Marketing Mist gebaut haben – und wenn er es nicht hinbiegt, schieben wir es auf die Verkäufer. Oder wir machen einem Projekt den Garaus, nur weil es uns keine Bühne zur Profilierung bietet.
Bildquelle: KI
Der zweite Pferdefuß ist unsere Bequemlichkeit:
Widerstandslos geben wir uns der menschlichen Neigung hin, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Warum sich unnötig quälen? Dummerweise sind es gerade die sinnhaften und unbequemen Dinge (in genau dieser Kombination!), die unsere Organisation maximal voranbringen. Kann ich den Umsatz und die Rendite verbessern, wenn ich in der Komfortzone hocke und etwas mehr vom Gleichen mache? Niemals! Unser Umsatz schießt nicht in die Höhe, nur weil wir noch öfter noch mehr Kaffee mit den Kunden schlürfen, die immer den gleichen Monatsbedarf bei uns beziehen.
Wenn wir wirklich mehr wollen, als knapp auf den grünen Zweig zu kommen, müssen wir radikal Neues tun, auch wenn das bedeutet, einen schläfrigen Außendienst durch einen hellwachen und motivierten Partnervertrieb ersetzen zu müssen. Kostet das Kraft? Tut das weh? Lohnt es sich? Geht es nur so? Ja, ja, ja und ja! Leider gelingt es den meisten von uns nie, diese Bequemlichkeit und Kleingeistigkeit zu überwinden.
Dies hat schon Immanuel Kant erkannt:
„Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.“
Auf unser Unternehmen übersetzt heißt das: Wir brauchen fast mathematisch genau immer genau so viel Organisation, wie es an Unreife zu kompensieren gilt. Und sosehr ich mir mehr fluide Netzwerkorganisationen wünschen würde: Meine Beratungserfahrungen in Unternehmen jeglicher Größe zeigen mir, dass es ohne Hierarchie (noch) nicht geht. Trotzdem klappt es viel flacher und einfacher, als wir glauben! Viele Potenzialträger in zahllosen Unternehmen besitzen die nötige Reife bereits. Wir müssen nur die Narzissten loswerden, die mit ihren Seilschaften zum Schimmelpilz im Management geworden sind.
Darüber hinaus können wir gezielt an unserer Reife arbeiten. Jeder für sich! Und an der Wurzel muss man anpacken, will man effektivere, flachere Organisationen. Wer meint, nur durch eine neue Organisation eine höhere Produktivität zu erzielen, arbeitet am Symptom und wird bitter enttäuscht werden.
Ihr
Matthias Kolbusa
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